BGH: Zum Zugang einer per Email abgegebenen Willenserklärung
In einem Revisionsverfahren vor dem BGH (Urteil vom 06.10.2022, Az. VII ZR 895/21) ging es um die Frage, wann eine Email dem Empfänger zugegangen ist. Die Klägerin hatte der Beklagten in einer Email vom 14.12.2018, Sendedatum 9.19 Uhr, ein Vergleichsangebot unterbreitet. Wenig später am selben Tag erklärte die Klägerin per Email mit Sendedatum 9.56 Uhr den Widerruf dieses Angebots. Am 21.12.2018 zahlte die Beklagte die Vergleichssumme.
Der BGH bestätigte die Rechtsauffassung der Vorinstanz, dass mittels der um 9.56 Uhr gesendeten Email kein wirksamer Widerruf erklärt wurde. Gemäß § 147 Abs. 2 BGB können Anträge unter Abwesenden bis zu dem Zeitpunkt angenommen werden, in dem der Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen zu erwarten sei. Diese Frist wurde von der Beklagten gewahrt.
Eine Bindungswirkung des Angebots (§ 145 BGB) hatte die Klägerin nicht ausgeschlossen. Die Argumentation der Beklagten, die Emails vom 14.12.2018 (Angebot und Widerrufserklärung) habe die Klägerin gleichzeitig erhalten, weil sie diese zur selben Zeit vom Mailserver abgerufen habe, sah der BGH in Übereinstimmung mit der Vorinstanz als rechtlich verfehlt an.
Der von einem Empfänger für den Empfang von Email-Nachrichten genutzte Mailserver ist jedenfalls dann, wenn der Empfänger durch Veröffentlichung der Email-Adresse oder sonstige Erklärungen im Geschäftsverkehr zum Ausdruck bringt, Rechtsgeschäfte mittels elektronischer Erklärungen in Form von Emails abzuschließen, als sein Machtbereich anzusehen, in dem ihm Willenserklärungen in elektronischer Form zugehen können.
Elektronische Willenserklärungen in Form von Emails werden als Datei gespeichert von dem Mailserver des Absenders an den Mailserver des Empfängers weitergeleitet. Dieser wird über den Eingang der Email unterrichtet. In diesem Zeitpunkt ist der Empfänger in der Lage, die Email-Nachricht abzurufen und auf seinem Endgerät anzeigen zu lassen. Der mit Email der Klägerin vom 14.12.2018, 9:56 Uhr, erklärte Widerruf des Vergleichsangebots war verspätet.
Damit war der Beklagten das Vergleichsangebot am 14.12.2018, 9:19 Uhr (innerhalb üblicher Geschäftszeiten) wirksam zugegangen. Somit konnte die Klägerin dieses um 9:56 Uhr nicht mehr gemäß § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB wirksam widerrufen.